Young man, there’s no need to feel down …

Eigentlich sollte hier ein Text zu den pyromanischen Ausschweifungen der Rasenballsport-Ultras beim Auswärtsspiel in Paderborn stehen. Wie wir Schwabenballisten das Thema sehen, haben wir hier schon mehrfach kund getan. Dass der „Kuschelkurs“ mit der sogenannten „aktiven“ Fanszene bislang nicht gefruchtet hat, hat sich einmal mehr gezeigt. Der Fanverband und der Verein Rasenballsport Leipzig haben schnell reagiert. Hoffentlich auch mit nachhaltiger Konsequenz.

Stattdessen lief mir ein anderes, positiveres Thema über den Weg, mit dem ein Missstand beseitigt werden soll, der in einer aufgeklärten Gesellschaft eigentlich seit spätestens 40 Jahren Vergangenheit sein sollte.

Rasenballsport-Trainer Julian Nagelsmann gab laut einem DPA-Bericht auf der Weihnachtsfeier des Fanclubs „Rainbow Bulls“, einem offen schwul-lesbischen Fanclub, bekannt, dass er homosexuellen Spielern bei einem Outing helfen würde.

„Generell glaube ich, dass, wenn man seine Sexualität nicht outen darf, auch nicht frei leben kann. Es gibt dann einfach zu viele Ängste, entdeckt oder vielleicht nicht ernst genommen zu werden. Wenn du dich immer verstecken musst in deiner Liebe, dann ist das ein großes Problem“
Julian Nagelsmann

Starke Worte des RB-Trainers, der aber unterstreicht, dass es im sportlichen Umfeld, bei Fans und Verantwortlichen sowie der medialen Umgebung (noch) nicht hinreichend Akzeptanz für schwule Fußballer gebe. Ein Zustand, der aus meiner Sicht nicht hinnehmbar ist. „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“, ließ bereits Friedrich der Große wissen und was damals in der Religionsfrage galt, sollte im 21. Jahrhundert im Hinblick auf die sexuelle Orientierung nicht in Frage stehen.

Wie schwer es offenbar ist, sich zu outen, zeigt das Vorgehen eines Twitter-Users, der mutmaßlich ein homosexueller Fußballer in Diensten eines deutschen Zweitligisten ist. Auf seinem Account @gayBundesligas1 hat er am 16.10.2019 angekündigt, sich outen zu wollen und zunächst anonym zu testen, ob er dem Druck, der mit der Entscheidung verbunden ist, standhalten kann. Der Spieler schildert eindrücklich die Zwänge in einem Umfeld mit immer noch stark homophoben Tendenzen. Ein schlechter Pass wird schnell „schwuler Pass“ genannt, das Wort „Schwuchtel“ dient als gern genommene Beleidigung. Um in diesem Umfeld nicht aufzufallen, macht dieser Spieler an vorderster Front mit und hat eine beste Freundin, die als „Fake-Lebensgefährtin“ herhalten muss.

Wenn man der Timeline glauben darf, gibt es neben den üblichen Pöbeleien viel Zuspruch. Geoutet hat er sich bis heute nicht. Zum einen muss bei der zwangsläufigen Aufmerksamkeit bedacht werden, dass er weiterhin sportliche Leistungen bringen und sich für neue Verträge empfehlen muss, zum anderen bestehen Probleme bei den Rahmenbedingungen:

  • viele Medien setzen ihre Anstrengung darein, den jungen Mann enttarnen zu wollen, statt sich kritisch mit dem Thema Homophobie und Diskriminierungen allgemein im sportlichen Umfeld zu befassen
  • der DFB begrüßt zwar öffentlich das mögliche Outing, weigert sich aber eine externe, d.h. vom Verein unabhängige Beschwerdestelle nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, welches Diskriminierungen v.a. im Arbeitsrecht zu verhindern) einzurichten.

§ 1 AGG: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“

Für den Profi wäre eine solche externe Stelle jedoch ein ganz wesentlicher Faktor. Mag er vielleicht während der ersten Wochen durch die öffentliche Wahrnehmung geschützt sein, könnte sich dies in der Folge ändern und seine wirtschaftliche Existenzgrundlage in Gefahr geraten.

Es ist daher zu hoffen, dass die Mitgliedervereine auf den DFB und die DFL Druck machen, wirksame Instrumente zu schaffen, in denen junge Menschen
a) anonym effektive Beratung im Hinblick auf ein Coming Out erhalten
b) eine Anlaufstelle haben, an die sie sich bei tatsächlichen Benachteiligungen wenden können

Es wäre schön, wenn von Seiten von Rasenballsport Leipzig hier exemplarisch eine klare Haltung öffentlich vertreten wird.

Adressat dieser Zeilen sind aber vor allem WIR, d.h. die Fans, die Öffentlichkeit. Der Kampf gegen Homophobie fängt dort an, wo wir, die letztlich für die wirtschaftliche Basis als Stadiongänger, Werbekunden, etc. sorgen, uns eindeutig dagegen aussprechen. Hand aufs Herz: wieviele von uns haben nicht oft genug „Du schwule Sau“ oder Ähnliches gerufen? Wir müssen uns bewusst machen, dass unsere Sprache und unser Verhalten (Gestik, Mimik) einen großen Einfluss auf unsere Mitmenschen und damit auch auf die Spieler haben. Spieler werden „Normabweichungen“, die negativ konnotiert sein könnten, vermeiden, um in der Gunst von Fans und Öffentlichkeit nicht zu sinken.

Die von mir eingangs gescholtene „aktive Fanszene“ bei Rasenballsport Leipzig macht insoweit bereits einiges richtig und spricht sich eindeutig gegen Homophobie [und selbstverständlich auch gegen andere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Frauenfeindlichkeit, etc.] aus.

Es ist unsere Aufgabe, dass dies kein Randphänomen bleibt, sondern die Basis gemeinsamer Werte, die wir aktiv verteidigen, z.B. in dem wir Partei ergreifen, wenn jemand als „Schwuchtel“ beschimpft wird. Wir benötigen in jeglicher Form mehr Zivilcourage! Kein Wegschauen gegen Gewalt, kein Wegschauen, wenn der Nachbar, den ich vielleicht gern mag, Pyro zündet, kein Wegschauen, wenn der andere Nachbar Frauen sexualisiert beleidigt oder sich schwulenfeindlich äußert.

Es genügt in diesen wichtigen Feldern nicht, dass diejenigen, die ohnehin besonders tolerant sind oder sich dem Thema politisch nahe fühlen, mitmachen. Auch der, bei dem es Unbehagen auslöst, wenn sich zwei Männer küssen, muss dafür eintreten, dass sie dies in einer freien Gesellschaft können.

Es wäre schön, wenn es keiner medienwirksamen Outings bedürfte. Wenn es vollkommen egal und normal wäre, ob ein Fußballer Männer, Frauen, beides oder überhaupt nichts davon liebt. Solange dies aber keine gesellschaftliche Realität ist, müssen wir gemeinsam denjenigen helfen, sich zu outen und gestärkt zu fühlen, damit sich niemand verstecken muss oder gar Fakebeziehungen vorschiebt, um gesellschaftlich akzeptiert zu bleiben.

Und an den jungen Fußballer und die vielen anderen, die es zweifellos gibt, die homosexuell sind, sei gesagt: wir stehen hinter Euch: YOUNG MAN, THERE’S NO NEED TO FEEL DOWN!