Ma-ma-ma-my Corona

Frei nach „The Knack: My Sharona“

Nach neun Wochen Corona-Pause startete die Fußball-Bundesliga in ihren Saisonendspurt und begab sich damit in die exquisite Gesellschaft der weißrussischen „Wyschejschaja Liha“ sowie der fähringischen „Betri deildin“. Es stellte sich für uns Fußballfans das Luxusproblem der Auswahl zwischen der Frage, ob Meister Klaskvik seine Krise beenden könnte, IF Fuglafjördur weiter für Furore sorge, der FK Sluzk mit BATE Baryssau mithalten kann oder Schalke im Revierderby gegen Dortmund etwas zu reißen vermag.

Seitdem sind knapp drei Monate verstrichen, die Bundesliga hat ihre Saison überraschend gut zu Ende gebracht, die Bayern wurden wieder Meister, Rasenballsport Leipzig schwankte und wurde am Ende versöhnlicher Dritter, Klaskvik hat auf den Färöer zu Tabellenführer Thorshavn aufgeschlossen und die Krise beendet und in Belarus redet niemand mehr darüber, dass Schachtjor Salihorsk die Liga anführt und der FK Sluzk eingebrochen ist, es wird vielmehr über die Präsidentenwahl gesprochen, der „Wind of Change“ liegt in der Luft, den Frauen sei Dank.

Doch nicht nur in Belarus stellt sich die Frage, welche Relevanz das Sportgeschehen hatte bzw. hat. In Zeiten des Corona-Virus rücken andere Fragen in den Vordergrund:
– Wie geht es bei mir beruflich weiter?
– Wann bzw. wie lange noch können meine Kinder wieder in die Schule oder Kita?
– Wie schütze ich meine Gesundheit und die meiner Angehörigen und sonstigen Mitmenschen?

Restart: ein gespaltenes Bild

Nachdem die Saison 2019/20 nun Geschichte ist, richtet sich der Blick nach vorne. Die alte Saison inklusive des Champions-League-Endturniers wurde mit Geisterspielen beendet. Erstaunlich gut organisiert im Ablauf und für den Konsumenten gut medial aufbereitet. In unserem Fanclub zeigte sich eine gewisse Prioritätensetzung über die drei Monate: der Bundesliga-Restart wurde eher beiläufig verfolgt, zu wichtig waren die aktuellen Probleme mit der Pandemie und die Organisation von Privat- und Berufsleben. Während des Champions-League-Endturniers bzw. in dessen Vorbereitung stieg das Interesse und die Auseinandersetzung, was zum einen mit den Lockerungen zu tun haben dürfte, zum anderen aber auch mit dem ansprechenden Format.

In den Alltag der kommenden Bundesliga-Saison wird das kaum zu übertragen sein. Wie also umgehen mit der Herausforderung der neuen Saison?

Fakt ist: das Virus ist zurück in unserer Realität – natürlich war es nie weg, nur aus dem Sinn während der Periode niedriger Infektionszahlen! Allzu lasche Handhabung von Abstands- und Hygieneregeln haben die Infektionszahlen nach oben schnellen lassen – trotz des guten Wetters, welches Zusammenkünfte unter freiem Himmel mit Abstand möglich machte. Die Liga plant dennoch – auch in Ansehung weiter steigender Infektionszahlen sobald die Witterung die Menschen wieder mehr in geschlossene Räume treiben wird – Großveranstaltungen mit Zuschauern.

Um es vorwegzunehmen: der Wunsch wieder ins Stadion zu gehen, ist nachvollziehbar, gerade bei uns im Fanclub. Doch wie verantwortbar sind Spiele vor größeren Zuschauermengen, die Abstand halten realistischerweise unmöglich machen? Selbst wenn in Stadien nur jeder dritte Platz besetzt ist und vielleicht beim Sitzen tatsächlich Abstand halten möglich ist, erscheint fraglich, wie ein Gedränge beim Ein- und Auslass vermieden werden soll. Ich bin am 10.6. geschäftlich nach Berlin geflogen. Bei knapp 50 eincheckenden Business-Passagieren (wohlgemerkt alle nüchtern und erfahren beim Check-in) klappte es nicht annähernd Abstand im Terminal zu wahren. Glaubt ernsthaft jemand, das funktioniert mit 20.000-25.000 Zuschauern im Stadion?

Spieler und Vereinsoffizielle, deren Beruf unser Hobby ist, mögen in einer „Bubble“ zusammengeschlossen und abgeschirmt werden können, aber im Stadion werden – egal wie gut die Voraussetzungen sind – stets Menschen zusammenkommen, die füreinander eine besondere Gefährdung darstellen. Klar ist auch, dass Vereine und Spieler auf ihren Wettbewerb angewiesen sind. Sie verdienen damit Geld, was sie im Falle der Fußball-Bundesliga vor allem durch Sponsoren einnehmen, die die Spieler im Wettbewerb als Werbeprojektionsfläche benötigen. Eine Saison einfach aussetzen? Das kann der Wettbewerb als Ganzer wirtschaftlich nicht durchstehen. Und ob wir nächstes Jahr über den Berg sind, kann auch niemand mit Gewissheit sagen.

Geistersaison: eine unbequeme Wahrheit

Die unbequeme Wahrheit wird „Geistersaison“ lauten. Wenn der Wettbewerb gespielt werden soll, wird mindestens der Großteil der Spiele ohne Zuschauer ausgetragen werden. Die Frage, was das mit unserem Verständnis als Fans anstellen wird, ist spekulativ. Nach den bisherigen Erfahrungen möchte ich aber in ein paar Punkten aus dem Fenster lehnen:

  1. Das Interesse für Geisterspiele am TV wird hinreichend groß sein
    Wie eingangs berichtet, war bei uns im Fanclub beim Restart eine gewisse Müdigkeit bzw. teilweises Desinteresse zu spüren. Das CL-Endturnier zeigt mir aber, dass ein gut präsentiertes „Produkt“ auch ohne Zuschauer Interesse weckt. Sky & Co. werden sicher Einbußen zu verzeichnen haben, nicht alle Sponsoren werden in gleichem Maße investieren können, aber das Gros wird mitziehen und den Wettbewerb am Leben erhalten
  2. Stadionbesucher sind für das TV-Erlebnis überbewertet
    Vorweg: der Stadionbesuch ist für den Fußballfan ein zentrales Erlebnis. Emotionen, Gesang und Mitfiebern gehören elementar dazu. Ein Großteil der Stadiongänger möchte keine Operettenatmosphäre durch Sitzen mit Mundschutz ohne Gesang. Es wäre am schönsten, wenn ein normaler Stadionbesuch wieder möglich wäre.
    Für das TV-Erlebnis halte ich die Beschallung durch Fangesang für nicht notwendig. Die ersten Geisterspiele waren – aus Gewohnheitsgründen – „gewöhnungsbedürftig“. Die Gewohnheit ändert sich aber und ausgehend vom Champions-League-Finale fand ich rückblickend die Focussierung auf das Sportliche eher positiv.
    Wenn Fans meinen „Fußball ohne Fans ist kein Fußball“ muss ich dem entgegentreten. Das Produkt Profifußball war ohne Zuschauer bislang kaum denkbar, da sie Teil der Vermarktung des Produktes sind und die Fußballunternehmen mit ihren Fans werben. Der Sport als solcher wird selbstredend auch ohne Zuschauer genauso und nicht weniger leidenschaftlich betrieben. In der „zweiten Mannschaft“ meines Dorfvereins hatten wird manchmal nur zwei hartgesottene Zuschauer, die aber nicht angefeuert, sondern meistens gemeckert haben, wenn man mir beim Laufen die Schuhe neu besohlen konnte. Und Freude hat der Sport trotzdem gemacht.
    Es wird Aufgabe des Anbieters sein, die Spiele gut und unterhaltsam zu präsentieren. Bei der Gelegenheit wäre echter Wettbewerb unter den Anbietern (zwei Programme zeigen dasselbe Spiel parallel) übrigens sehr wünschenswert
  3. Das Fanclubleben wird in kleinen Zellen gepflegt werden müssen
    Was für das Stadion gilt, gilt auch privat. Große Zusammenkünfte im Fanclub sind vorerst tabu. Der persönliche Kontakt lässt sich aber nicht fernmündlich ersetzen. Wir werden Wege finden müssen, uns – unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln bzw. Kontaktbeschränkungen – zu treffen und die Gemeinsamkeit zu pflegen. Wie das aussehen wird, weiß ich noch nicht. Doch für mich ist klar, dass die zwischenmenschliche Ebene immer wichtiger werden wird. Ein Fanclub ist nur ein Ausschnitt des Lebens, aber für ihn gilt wie für alle übrigen Bereiche: wenn wir quantitativ unsere Kontakte einschränken müssen, ist die Qualität der möglichen Kontakte wesentlich für unser Wohlbefinden.

Es gibt noch viel, viel mehr Aspekte, die sich im Laufe der Zeit zeigen werden. Wir sollten dabei im Auge behalten, dass die Probleme des Profifußballs und seiner Anhänger – verhältnismäßig – Luxusprobleme sind. Semiprofessionelle Vereine sind viel stärker auf Zuschauereinnahmen oder präsenzzuschauerabhängige Sponsoreneinnahmen angewiesen. Amateurvereine können ihre Spieler nicht abschirmen, viele Spiele werden durch positive Coronatests von Mannschaftsmitgliedern ausfallen müssen. Kleinere Sportarten wie Basketball, Handball oder Eishockey (d.h. gerade die Hallensportarten) können wegen der Aerosole vermutlich viel schwieriger selbst kleine Zuschauermengen aufnehmen, etc. etc. etc.

Ich kann nur hoffen, dass wir alle mit Vernunft und Ausdauer bei der Stange bleiben und Solidarität üben. Allen Freunden des Rasenballsportes (d.h. allen, die dem schönen Sport verbunden sind), wünsche ich Gesundheit und Durchhaltevermögen. Passt auf Euch auf!