Keine Politik im Stadion

Ein herzliches Willkommen in der Saison 2018/19. Seit unserem letzten Blogeintrag sind knapp 5 Monate vergangen. Wir waren in der Zwischenzeit auf Reisen, sogar die so stiefmütterlich behandelte Europa-League wurde dank unserer Unterstützung überstanden. Besonders präsent waren die Schwabenballisten im  TV beim U17-Halbfinale gegen die Bayern. Die Unterstützung half in diesem Fall wenig, man schied sang- und klanglos gegen den Nachwuchs des Rekordmeisters aus.

Sportlich gab es aber insgesamt wenig, das die Schwelle zum Schreiben eines Blogbeitrages überschritt. Nur an einem Thema kam man nicht vorbei: Politik! Bzw. was Politik im Stadion zu suchen hat oder auch nicht. Mehrfach in den letzten Wochen dachte ich darüber nach, etwas darüber zu schreiben. Ich dachte irrigerweise, für „gesunden Menschenverstand“ gebe es einen breiten Konsens. Die Stellungnahme von  RB Leipzig über seine offiziellen Kanäle zu diesem Thema brachte das Fass jedoch zum Überlaufen.

Im Rahmen der Pressekonferenz zum Spiel gegen Hannover 96 sagte Ralf Rangnick zur offiziellen Linie des Vereins unter anderem:

„Der Fußball kann grundsätzlich viel zusammenbringen, auch Themen einen, die sonst schwierig zu vereinen sind. Dazu muss Fußball aber versuchen, sich aus politischen Positionen herauszuhalten. Fußball sollte sich dieser Funktion bewusst bleiben; dazu gehört eine unpolitische Rolle einzunehmen“.

Was grundsätzlich keine neue Position ist. Interessanter der Nachsatz:

„Grundsätzlich muss man im Fußball aufpassen, dass man sich nicht vor jeden Karren spannen lässt. Die Mannschaft hat eine klare Meinung, zeigt diese auch und setzt sich sozial sehr stark ein. Aber wir lassen uns nicht vor jeden Karren spannen“.

Um welchen Karren geht es dabei? Ein kurzer Abriss der jüngsten Geschehnisse (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): in Chemnitz kommt ein 35-jähriger Deutscher gewaltsam zu Tode. Tatverdächtig sind u.a. zwei Asylbewerber, von denen einer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Es kommt zu einer überraschend schnellen und großen Mobilisierung durch rechte Gruppen, das Stadtfest wird abgebrochen. Am Folgetag kommt es u.a. zu einer überraschen großen Demo auf Initiative des rechten Bündnisses „Pro Chemnitz“, bei dem es zu mehreren politischen Straftaten (z.B. Zeigen des Hitlergrußes) und zu Gewaltakten (einige Demonstrationsteilnehmer gehen gewaltsam gegen Passanten vor, insbesondere gegen fremdländisch aussehende Bürger der Stadt). In der Folge entzündet sich eine Diskussion um die Einordnung der Demonstration, da sich viele „bürgerliche“ Demonstranten beteiligt hatten, die ihrerseits friedlich demonstrierten, allerdings gegen die o.g. Straftaten auch nicht einschritten.

Viele Personen und Organisationen des gesellschaftlichen Lebens bezogen anschließend Stellung.  Der SV Werder Bremen äußerte sich als einer der ersten Fußballvereine öffentlich in unmissverständlicher Weise:

Selbst die SG Dynamo Dresden, deren Management im Umgang mit politisch extremen Fans in der Vergangenheit Anlass zur Kritik bot, äußerte sich öffentlich. Rasenballsport Leipzig schwieg lange Zeit – und erklärte nun aktiv, man wolle keine Position beziehen.

Allgemein hätte man ein Statement etwa wie folgt erwartet: „Unser Verein vertritt die Werte des Sports. Fair Play heißt Achtung und Respekt vor unserem Nächsten unabhängig von seiner Hautfarbe, Religion, seines Geschlechts und sexuellen Bekenntnisses. Unser Verein steht für ein friedliches Miteinander: auf dem Platz, auf den Rängen und auch außerhalb des Stadions“.

Natürlich ist dies ein politisches Statement. Aber es sollte auch unser gesellschaftlicher Grundkonsens sein, denn es ist Ausfluss des Kerns unserer Verfassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Sie zu achten und zu schützen ist nicht nur Aufgabe des Staates, sie ist auch Auftrag an uns alle als Bürger dieses Staates.

Wir Schwabenballisten unterstützen die Forderung „Keine Politik im Stadion“. Diese sehr prägnante Forderung muss aber im Hinblick auf den gesellschaftlichen Grundkonsens ausgelegt werden und bedeutet für uns: keine Allgemeinpolitik und erst recht keine Parteipolitik im Stadion. Insoweit ist die Aussage des Vereins Rasenballsport Leipzig auch absolut richtig. Im Stadion kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Einstellungen zusammen. Das ist nicht nur in Ordnung, es ist im Hinblick auf Pluralismus und Demokratie auch wünschenswert. Um eine verbindende Kraft zu erzielen, darf man den politischen Streit in Einzel- oder Sachfragen nicht ins Stadion tragen. Hier hat Ralf Rangnick aus unserer Sicht recht.

Es gibt gute Gründe für oder gegen eine Rodung im Hambacher Forst zu sein.
Es gibt gute Gründe das Engagement von Seenotrettern zu unterstützen wie es Gründe gibt, einzelne Aspekte davon kritisch zu sehen.
Es gibt gute Gründe für ein bedingungsloses oder ein solidarisches Grundeinkommen oder dagegen zu sein.

Wir wollen diese Diskussionen im Bereich des Fußballs nicht führen. Im Sommer gingen bei uns in der Gruppe zur Causa „Özil“, einer komplexen sportpolitischen Fragestellung höchst unterschiedliche Ansichten. Das ist auch in Ordnung. Jeder darf sich zu diesen Themen seine eigene Meinung bilden, wir tauschen uns nicht über parteipolitische Präferenzen aus und wollen das auch nicht im Stadion, im Fanverband oder beim Fanclubtreff tun.

Was wir aber erwarten, ist ein Mindestmaß an Respekt – auch gegenüber Politikern oder sonstigen Menschen, die politisch ganz anderer Meinung sind – und das Einhalten der grundlegenden Spielregeln unserer Gesellschaft. Wir respektieren jeden unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexueller Identität.

Um die US-amerikanische Verfassung zu zitieren: „We hold these truths to be self-evident“. Und daher irritiert es, wenn ein Verein diese Selbstverständlichkeiten als „Karren“ oder Kampagne bezeichnet, für die man sich nicht instrumentalisieren lassen möchte. Ein Statement, dass der Verein, der Sportler verschiedener Hautfarbe, Religion und Herkunft zusammenbringt, ohne Weiteres mit Leben füllen kann.

Warum also dieses Zögern?

Ich meine, weil sich der Verein gerade vor einen anderen Karren spannen lässt, möglicherweise ohne dies zu wollen. Es gibt in Sachsen wie in ganz Deutschland eine erhebliche Zahl an Menschen, die der Auffassung sind, die praktizierte Einwanderungspolitik (allgemein gesprochen) sei zu liberal und – und das dürfte der entscheidende Punkt sein – ein Bekenntnis zu diesen Selbstverständlichkeiten (ich unterstelle, die allermeisten wollen keine Gewalt gegen Ausländer und haben nicht per se etwas gegen andere Kulturen) würde den Focus von ihrem Anliegen „weniger bzw. kontrolliertere Einwanderung“ ablenken. Aus dieser Ecke kommen dann auch die lautesten Aufforderungen, man solle sich nicht „politisch“ äußern.

An den letzten Wahlergebnissen kann man ablesen, dass im Einzugsgebiet von Rasenballsport Leipzig ein nicht geringer Anteil diese politischen Ansichten teilt. Man muss kein Prophet sein, dass unter den RB-Anhängern auch einige Fans sind, die diese politische Meinung vertreten.

Es wirkt, als wolle der Verein krampfhaft versuchen, niemandem auf die Füße zu treten, um maximal viele potenzielle Fans zu erreichen und zu vereinen. Das ist im Grunde genommen auch in Ordnung, denn der Verein muss sich parteipolitisch in keine Ecke stellen. Es braucht unseres Erachtens auch keine populistischen Aktionen, wie diejenige des Präsidenten von Eintracht Frankfurt, der AfD-Mitglieder oder -Wähler aus dem Stadion vertreiben möchte. Dass dies nicht praktikabel ist, dürfte offensichtlich sein, schließlich steht niemandem auf die Stirn geschrieben, was er wählt.

Rasenballsport Leipzig übertreibt es an dieser Stelle in die andere Richtung: niemandem weh zu tun, egal wie weit er vom Grundkonsens entfernt ist, schadet mehr als dass es eine „Gewinnmaximierung“ darstellt. Ähnlich wie im Hinblick auf die Ausschreitungen während des Leverkusen-Spiels (siehe „Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte„), so kann der Verein es auch hier nicht jedem recht machen wollen. Aber die Aussage: „Wir stehen zum Grundkonsens unserer Gesellschaft, ohne Wenn und Aber“, widerspricht in keiner Weise dem Anspruch, dass es jedem Fan frei steht, eine politische Meinung in dem von unserer Verfassung gesteckten Rahmen zu bilden.

Besonders traurig sind die Aussagen von Rangnick auch deshalb, weil er vor einigen Monaten bei „Sky90“ sich sehr klar gegen Rechtsextremismus ausgesprochen hat und in keinster Weise relativiert hat, Vereine sollten sich da heraushalten. Rangnicks persönliche Meinung kann man ihm abnehmen, er lebt diese Einstellung auch vor. Umso bedenklicher, wenn er nun als Vereinslinie Zurückhaltung ob dieser Werte und Normen propagiert. Die Frage muss erlaubt sein, wer im Verein dann diese „vorgeblich unpolitische Linie“ durchsetzt: Oliver Mintzlaff? Der Pressesprecher? Oder etwa Dietrich Mateschitz?

Wir meinen, dass der Verein aufpassen muss, dass seine unpolitische Linie von der Mehrheit in diesem Lande nicht am Ende doch als sehr politisch wahrgenommen wird und sich denjenigen anbiedert, die an anderer Stelle konsequente Absagen erhalten. Niemand erwartet, dass RB-Funktionäre auf Friedensmärschen mit Antifa-Fahne, DGB-Mütze und Linksparteiaufnäher oder was auch immer herumlaufen müssen. Was wir aber erwarten dürfen, ist gesellschaftliches Engagement  gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Gewalt, gegen Ausgrenzung. Das ist das Mindestmaß, was wir in diesem Land erwarten dürfen. Wir bedauern sehr, dass der Verein keinen Vertreter zur Podiumsdiskussion nach dem Theaterstück „Juller“, einem äußerst sehenswerten Theaterstück, das u.a. am „Theater der jungen Welt“ aufgeführt wird und sich mit der Geschichte der Nationalspieler Julius Hirsch und Gottfried Fuchs, die jüdischen Glaubens waren, beschäftigt, abgesandt hat.

Gleichsam gibt es auch in anderen Bereichen Nachholbedarf: wenn in einem Strafen-Glücksrad bei der 1. Mannschaft der Rasenballsportlern neben anderen Dingen auch das Tragen eines rosa Outfits oder eine Ballerina-Kostüms als Strafen definiert werden, dann vermittelt das ein seltsames Bild in unserer heutigen Zeit über den Umgang mit unterschiedlichen Geschlechterbildern und sexuellen Identitäten, deren Respektieren auch zu unserem gesellschaftlichen Grundkonsens gehören sollte. Der Rotebrauseblogger hat hierzu sehr eindrucksvoll dem Verein etwas ins Stammbuch geschrieben: https://rotebrauseblogger.de/2018/09/13/presse-13-09-2018

 

Nein, man muss es mit der „Political Correctness“ nicht übertreiben. Man muss auch keinen Überbietungswettbewerb machen, wer sich am besten gegen „Rechts“ engagiert. Das Kerngeschäft ist noch immer der Fußball. Dennoch steht der Verein aus unserer Sicht in der Pflicht klare Grenzen zu ziehen, wo der akzeptable Rahmen aufhört – und der ist aus unserer Sicht da zu ziehen, wo es um Gewalt oder den Aufruf dazu geht und darum an der Seite derjenigen zu stehen, die sich dem Erhalt des gesellschaftlichen Grundkonsenses verschrieben haben.

In diesem Sinne:  Nachsitzen, liebe Rasenballsportler!

0 Kommentare zu „Keine Politik im Stadion