Die Revolution frisst ihre Kinder

„Wir werden den Rotebrauseblogger auf Millionen verklagen,
er hat uns in seinem Abschiedsblog nicht gelobt, ohne zu fragen“
(frei nach EKO Fresh)

Zeit heißt Veränderung. Wer sollte dies wissen, wenn nicht Anhänger des Rasenballsports, eines Vereines, der quasi ein Kind der neuen Zeit ist und so vieles althergebrachtes deutscher Traditionsvereine hinter sich gelassen hat.

Veränderung tut manchmal weh, vor allem, wenn man sich von lieb gewordenen Dingen verabschieden muss. Manchmal sind Veränderungen so stark, dass eine regelrechte Zäsur einsetzt.

Am heutigen 7.5.2019 ist es soweit. Der „Rotebrauseblogger“ hat das Ende seines Blogs zum Saisonende angekündigt. Knapp 10 Jahre nach der Vereinsgründung und mehr als 9 Jahre nach Beginn seiner Bloggertätigkeit hängt Matthias sozusagen „die Tastatur an den Nagel“.

Was im Millionengeschäft der Bundesliga eine Randnotiz zu sein scheint, ist tatsächlich mehr. Gerade weil Rasenballsport Leipzig ein so junger Verein ist und der Aufstieg von unten sich schnell vollzog und unweigerlich (v.a. personelle) Änderungen mit sich brachte, sind Personen und Institutionen, die den Verein seit der 5. Liga begleitet haben, etwas Besonderes. Bei RBL war der „Rotebrauseblog“ schon früh ein Aushängeschild und das vermutlich wichtigste Informationsmedium rund um den einzig wahren Rasenballsport – zumindest mir ging es so.

Während es in anderen Vereinen gerade mit sich vergrößernder Fanszene oft mehrere Blogger auf unterschiedlichsten Niveaus gibt, blieb der Rotebrauseblog für RB Leipzig das Aushängeschild. Ich würde so weit gehen, dass kaum ein Verein so mit seinem Blogger in Verbindung gebracht wird, wie RB Leipzig. Die Lücke, die er hinterlässt, ist groß.

Nun sind die vorstehenden Worte ein bisschen viel der Lobhudelei. Auf den Punkt gebracht heißt es ein riesengroßes Dankeschön, Matthias, für die hervorragenden Texte und Analysen der letzten Jahre.

Warum also schreibe ich die vielen Zeilen? Weil ein Thema angesprochen wird, das mir schon länger unter den Nägeln brennt:

Die Bundesliga befördert Banalität und Beliebigkeit in Fanangelegenheiten!

Klar hat der Rotebrauseblogger auch sehr gewichtige familiäre Gründe, das Hobby der Bloggerei herunterzufahren. Jeder von uns muss Geld verdienen, die Freizeit daneben ist zu kostbar, als dass man neben der Zeit für die Familie auf Dauer um die halbe Welt reisen kann, wenn man nicht verdammt gute Gründe dafür hat.

Abseits dessen hat der Abschied auch inhaltliche Gründe:

„In jüngerer Vergangenheit bemerkte ich immer mehr Müdigkeit in Bezug auf die Art, wie Themen rund um den Fußball behandelt und mit welcher Inbrunst selbst banalste Themen verhandelt werden (oder wie mit Marketingsprech alles glatt- bzw. plattgemacht wird)“ [Rotebrauseblogger in „All good things come to an end“]

Eine Entwicklung, die ich auch sehe. Eine Entwicklung, die gesellschaftlich durch Onlinemedien ohnehin voranschreitet und die im Profisport, der insoweit als Katalysator wirkt, deutlich beschleunigt wird. Themen werden in immer kürzerer Zeit „gehypt“, Diskussionen und Analysen werden durch die wachsende Zahl der „Diskutanten“ immer mehr verwässert, weil die „Lauten“ die „Fundierten“ oftmals übertönen. Es gibt zwar immer mehr Fußball, aber zugleich hat man das Gefühl, vom eigentlichen Geschehen immer weiter entfernt zu sein.

Hierzu 3 Thesen:

  1. In der Diskussion um die Bundesliga nehmen sportliche Themen tendenziell ab und treten „Bouelvardthemen“ immer stärker in den Vordergrund
  2. Diskussionen, Blogs und Podcasts neigen zu immer oberflächlicheren Behandlungen von Themen, um möglichst viele Leute mitzunehmen statt diejenigen anzusprechen, die sich tiefgründiger mit Themen auseinandersetzen möchten
  3. Vereine verlieren mit ihrem Wachstum immer stärker den Kontakt zum einzelnen Fan und damit an Authentizität.

Bei der Themensetzung bekennen auch wir uns schuldig. Wir sind ein Fanclub und reden daher viel über „Fanthemen“, also das Gegenteil vom sportlichen Kernbereich. Je mehr Fanclubs es gibt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass deren Themen die Diskussion um den Verein bestimmen. Bei einem streitbaren Vereinskonstrukt wie RB Leipzig umso mehr.

Mehr Fans heißt mehr Auseinandersetzungen mit Fans anderer Vereine, mehr Diskussionsstoff untereinander und eine höhere gesellschaftliche Relevanz und damit die – vermeintliche – Notwendigkeit sich als Verein zu allen möglichen Themen äußern zu müssen/sollen/wollen.

Daneben gibt es mehr Aufmerksamkeit für Spieler, die in sozialen Medien eine große Bedeutung haben und Diskussionen eröffnen, ob das „Gucci Gucci Gu“-Baby von Spieler A eine Prada-Handtasche haben darf oder nicht.

Dass über Derartiges diskutiert werden kann, führt letztlich dazu, dass vereinsseitige Kommunikation „glatt gebügelt“ ist und möglichst wenig Angriffsfläche bieten soll. Letztlich eine Folge unseres „Kundenverhaltens“, denn wenn auf jede Äußerung mit Ecken und Kanten seitens der Fans eine Empörungswelle lostritt und wir streitbare oder eigentümliche Äußerungen bzw. Handlungen nicht goutieren, wird der Verein und seine Vertreter im Zweifel Kreide fressen.

Alleine schon der Umfang der Diskussion darüber, ob Ralf Rangnick nach dem DFB-Pokal-Halbfinale seine Verwunderung über die Wahl von Bakery Jatta zum Spieler des Spiels Ausdruck verleihen durfte, lässt mir die Haare zu Berge steigen.

Weil diese Themen aber die Masse bewegen, geht der Trend dahin, dass sich Formate wie Blogs oder Podcasts immer stärker mit Boulevardthemen befassen und seltener mit tiefgründigen Analysen. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel, aber der Erfolg von „Proll-Formaten“ wie „Drei 90“ zeigt, wohin die Reise geht.

Daran sind die Vereine als Triebkraft der Entwicklung nicht ganz unschuldig. Das Streben nach größerer Aufmerksamkeit, größeren Fanzahlen, Mitgliederzahlen, etc. führt dazu, dass der Kontakt mit dem Einzelnen sich vom sportlichen Geschehen auf Events verlagert. Klar tun Bundesligisten viel mehr als niederklassige Vereine, um bei unterschiedlichen Gelegenheiten ihren Fans nahe zu sein. Eine Charityveranstaltung in Schule A hier, ein Auftritt in Museum B dort, Sommerfest für OFC hier, Fanfest nach Saison X dort – alles tolle Veranstaltungen, aber letztlich zu durchchoreographiert, als dass es echt wirkt. Eine Entwicklung, die ich vor allem bei Vereinen beobachte, die sich ihre angebliche Fannähe besonders dick auf die Fahnen geschrieben haben.

Es ist vollkommen verständlich, dass ein Verein in der Bundesliga nicht die Nähe bieten kann wie ein Regionalligist, wo die Hand voll Fans per Handschlag begrüßt werden. Wer das sucht, ist im niederklassigen Fußball besser aufgehoben. Eine Erkenntnis, die manchen Fan der ersten Stunde zwischenzeitlich ereilt hat. Wir werden Szenen, wie auf dem Rückweg aus Lotte, als die Mannschaft den Sonderzug anhält, um zuzusteigen, nicht mehr erleben. Wir werden tendenziell kaum Dominik Kaisers mehr sehen, die nach dem Spiel in Ingolstadt vor dem Bus mit Fans schnattern. Dennoch wäre eine Rückbesinnung darauf, dass der Fan primär den sportlichen Zugang zu seinem Verein behalten sollte und Sportler nicht nur in ihrer abgegrenzten Welt leben, ein Ansatz, der dem Fußball gut tun würde, sodass die sportlichen Themen auch wieder in den Vordergrund rücken.

Was bleibt vom Rotebrauseblog?

Maßstäbe, wir brauchen Maßstäbe, um Oliver Kahn in abgewandelter Form zu zitieren. Maßstäbe hat er gesetzt, die letztlich die Latte für das Kommende hoch legen:

  • inhaltliche fundierte Auseinandersetzung mit Fragen ohne schnelle, einfache Antworten
  • fairer Umgang mit Kritik, gerade wenn der Kritiker dem Verein Rasenballsport Leipzig nicht oder nicht in allen Punkten wohlgesonnen ist
  • das Hobby Fußball nicht ernster zu nehmen als notwendig und darüber Humor und Ironie nicht zu verlieren (und darüber hinaus gilt selbstverständlich #TeamMintzlaff)

Und da es  geboten ist, in Zitaten zu eröffnen und auch zu schließen:

„We got to look back and see and learn from the past,
we got time to change it, but it’s running out fast“ (East 17)

„We all got a part we must play,
and I’ve done it, but I’ve done it my way“ (Blue)

„The result was very good, but the play, we can more“ (L. Matthäus)